Sind Sie nicht der Dani Papp?

23.08.2011 – Am Ende ihres flink gepaddelten Kilometers im Zweierkajak waren die deutschen Überraschungs-siegerinnen Anne Knorr und Deborah Niche so erschöpft und erleichtert, dass sie die Panne kaum bemerkten. Mit leerem Blick standen sie die vollen 92 Sekunden auf dem Siegertreppchen, während der Klang der Nationalhymne aus den Lautsprechern erschallte. Auch der Moderator der Liveübertragung im RBB Fernsehen brauchte ganze 35 Sekunden, um das Debakel zu bemerken: Die Veranstalter der Kanuweltmeisterschaft im ungarischen Szeged spielten die erste, 1952 für ungültig erklärte, anstatt der dritten, offiziellen Strophe des Deutschlandliedes.

Der Chor sang schön und gefühlvoll, doch er hinterließ Streit und schlechte Laune. Der deutsche Trainer empörte sich, die Ungarn konterten.  Nach einem kurzen Wortgefecht verzieh man einander, damit der Sport keinen Schaden nehme. Den hat er aber längst genommen, und es ist nach wie vor schleierhaft, woher die Aufnahme stammte. Nun heißt es, man habe alle Hymnen aus dem Internet,  wie eben fast alles heutzutage, und woher sei nicht mehr zu klären. Jede teilnehmende Mannschaft habe die Gelegenheit gehabt, sich diese zuvor anzuhören, auch die deutsche. Zwei Mal, sagt Chef-Bundestrainer Reiner Kießler, sei man dabei abgewiesen worden, weil die Technik angeblich nicht funktionierte.

Das ungarische Staatsoberhaupt will ein Präsident der Herzen sein.

Absicht oder Versehen – die in Deutschland geächtete Liedstrophe passt erschreckend genau ins derzeitige politische Bild Ungarns und ihres unbändigen Strebens nach einer über allem wachenden, expansionsbereiten Nation. Kein Tag vergeht, ohne dass ein führender Politiker die Gebetsmühle anwirft und ins ewig gleiche Mantra einstimmt, so auch am 20. August, dem ungarischen Nationalfeiertag, Staatspräsident Pál Schmitt: „Aus einem Volk wird nur eine Nation, wenn es viele gibt, die gleich denken und dasselbe wollen“, sagte Schmitt. Von Pluralität oder Meinungsvielfalt keine Spur.

Kürzlich hat eine Studie in Sekunden nachgerechnet, dass diese Werte nicht nur dem Präsidenten, sondern auch den ungarischen Fernsehsendern abhanden kommen. Der Budapester Think Tank Policy Solutions sieht eine konstant hohe bzw. leicht steigende Sendezeitsumme für die Berichterstattung über die Regierungspolitik und die regierenden Schwesterparteien Fidesz und KDNP. Die Öffentlich-rechtlichen gewähren der Regierung bis zu drei Viertel ihrer Sendezeit, etwa im Mittagsprogramm Déli Krónika des meist gehörten Senders Kossuth Rádió. Deren 700.000 Zuhörer kennen die Opposition praktisch nur aus vereinzelten negativen Wortbeiträgen. Die Gleichschaltung zeigt Wirkung.

Wie sicher sich die Regierung ihrer Sache inzwischen ist, belegt ein prekärer Vorfall aus der ersten Augustwoche. Bei der Redaktion des Internetportals origo klingelt das Telefon. Ein Mitarbeiter des ungarischen Ministeriums für den Nationalen Aufbau meldet sich und fährt atemlos fort,  „… tut mir leid, ich kann den Text noch nicht schicken, den wir besprochen haben, aber er muss auf jeden Fall gesendet werden…“. Der Redakteur unterbricht und sagt, er sei wohl der falsche Adressat, er sei von origo. Daraufhin der Anrufer: „Oh, sind Sie nicht der Dani Papp? Da habe ich mich wohl verwählt, Entschuldigung.“

Dániel Papp ist der Chef der Hauptabteilung Nachrichten und Hintergrund bei der allmächtigen Zentralredaktion MTVA, die alle ungarischen öffentlich-rechtlichen Programme  bedient – der richtige Mann am Schalthebel der öffentlichen Meinung. Empfängt er, der Dani Papp, Direktiven von der Regierung, gar vorgefertigte Moderationstexte aus den Leitungsgremien des Staatsapparates? Sicher ist, dass Papp erst vor wenigen Monaten auf diesen Posten gesetzt wurde, nachdem er einen bewusst gefälschten Beitrag über den Budapest-Besuch des  Orbán-Kritikers Daniel Cohn-Bendit erstellt und gesendet hatte.

Über die verpatzte Hymne wurde in den staatlichen Sendern nicht berichtet, auch für die Nachrichtenagentur MTI war das Thema gerade zwei dünne Zeilen wert. Einzig der Minisender ATV brachte das Thema in den Nachrichten. Als dann anderntags wieder eine Goldmedaille an Germany zu vergeben war, diesmal an Nicole Reinhardt für den Sieg im 500 Meter Kajak-Einer, da wurde die deutsche Nationalhymne erneut angestimmt – diesmal ganz und gar ohne Text und Chor. Vielstimmigkeit ist in Ungarn derzeit nicht besonders en vogue.

3 Responses to Sind Sie nicht der Dani Papp?

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  3. Rainer Beel says:

    Das Traurige ist, dass sich das Ganze so vor aller europäischen Augen vollzieht. Statt saftiger Kritik gibt es Applaus, schließlich ist der Fidesz die Schwesterpartei der CDU.