MTVA-Senderfusion vorerst gescheitert

21.5.2012 – Stolz zeigt Balázs Nagy-Navarro den richterlichen Beschluss, für den er Monate lang gefochten hatte. Nach 161 Streiktagen vor dem Gebäude des staatlichen Rundfunks in Budapest kann der Gewerkschafter und TV-Journalist endlich und rechtskräftig an seinen ehemaligen Arbeitsplatz zurück, um seine persönlichen Sachen abzuholen. Dafür war zu Beginn des Ausstandes am 10. Dezember 2011 keine Zeit, denn er wurde fristlos gefeuert.

Nagy-Navarro und seine Kollegin Aranka Szavuly sind die beiden Geschäftsführer der Freien Gewerkschaft der Fernseh- und Filmschaffenden (TFSZ)  und hätten schon in dieser Funktion das Recht auf freien Zugang zu den über hundert von ihnen vertretenen Kollegen im Budapester Sendezentrum. Doch als die beiden in der vergangenen Woche an der Pforte des MTVA-Gebäudes Einlass verlangten, wurden sie trotz gerichtlicher Verfügung abgewiesen. Auch die herbeigerufene Polizei konnte dem verstärkten Wachschutz nicht beikommen und wollte die Sache nicht eskalieren lassen. Und so bleiben die Gewerkschaftsführer draußen – dabei würden die beiden von der Belegschaft dringend gebraucht.

Nun müssen also die anderen ran. In zehn Einzelgewerkschaften sind die Interessen der rund 2.000 Angestellten des öffentlich-rechtlichen Medienapparates in Ungarn zersplittert – die meisten von ihnen Altlasten aus der Vorwendezeit, unfähig und unwillig anzuecken. Eine von ihnen ist jetzt überraschend aufgewacht. Die Interessenvertretung der ungarischen staatlichen Presseagentur MTI und deren Vorsitzender Péter Papadopulosz hat, zusammen mit der Betriebsratsvorsitzenden der MTI, Katalin Szekeres, und ihrer Kollegin von der Dachorganisation MTVA, Eszter Dóra Nagy, einen offenen Brief verfasst, darin die unhaltbaren Zustände bei der Nachrichtenagentur gerügt und höflich um Veränderung gebeten. 128 ihrer Kollegen haben ebenfalls unterschrieben.

Im Kern kritisieren die MTI-Bediensteten, dass die Verschmelzung der Presseagentur mit den einst unabhängigen öffentlich-rechtlichen TV- und Radiosendern in der Praxis nicht funktioniere. Auch ein Jahr  nach der Fusion seien die innere Struktur undurchsichtig und die Verantwortlichkeiten unbekannt. Die MTI habe noch immer die volle Verantwortung für die Nachrichten im Tagesgeschäft und gebe auch die Linie vor, habe dann aber keine Weisungsbefugnis gegenüber den Redakteuren, die die Nachrichten und Beiträge produzierten. Alles funktioniere nur auf der Ebene der freiwilligen Anpassung – ein Reflex der ungarischen Gesellschaft, der auch gut zwanzig Jahre nach der politischen Wende noch tadellos funktioniert.

Harte Fußtritte unter dem Tisch: István Böröcz und Csaba Belénessy üben sich im Machtkampf auf öffentlich-rechtlichem Territorium

Die auffällig zahme Meuterei der MTI-Belegschaft ist allerdings nur Theater. MTI-Chef Csaba Belénessy muss von der Unterschriftensammlung gewusst haben – wahrscheinlich hat er sie hinter den Kulissen sogar orchestriert. Denn Belénessy sieht im Machtkampf mit dem Sender-Dachfonds MTVA und dessen Chef István Böröcz seine Felle fortschwimmen und will Boden wiedergutmachen.

Böröcz läßt ihn bei wichtigen Entscheidungen am langen Arm verhungern und hat jüngst Belénessys Jahresetat um die Hälfte gekürzt – während er den eigenen aufstockte. Zudem soll die Presseagentur, bei gleichem Aufgabenumfang, von 120 auf 49 Mitarbeiter verkleinert werden. Damit ließe sich wohl auch das hohe Gehalt Belénessys von 2,5 Mio Forint (rund 9.000 Euro) nicht mehr rechtfertigen.

Und so dauerte es auch keine zehn Tage nach Bekanntwerden des Offenen Briefes, da tauchte, wie aus dem milchig trüben Nichts, ein Dokument auf, wonach Belénessys Widersacher Böröcz ein Informeller Mitarbeiter des ungarischen Staatsschutzes gewesen sein soll. Böröcz soll während der Kádár-Ära unter dem Decknamen Nádasdy gespitzelt haben, bestreitet jedoch alle Vorwürfe. Das ist einfach und risikolos in Ungarn, weil das Heer der 200.000 Spitzel und Denunzianten nicht so penibel verwaltet und gelistet wurde wie etwa bei der Staatssicherheit der DDR. Zudem wird die Aufarbeitung durch zahlreiche Gesetze erschwert, und so bestehen bis heute große Unsicherheiten darüber, wer damals tatsächlich in den Diensten der politischen Polizei gestanden hatte.

Die ungarische Regierung hat kein Interesse an diesem internen Streit, nachdem die öffentliche Kritik und die scharfen Rügen aus Brüssel am Mediengesetz eben erst im Getöse der Finanzkrise untergegangen waren. Und so hat sich die Adressatin des Offenen Briefes, die für die Medien zuständige Vorsitzende der Medienbehörde und des Medienrates, Annamária Szalai, genüsslich per Interview aus der Affäre gezogen und erklärt, sie sei für das Betriebsklima innerhalb des MTVA nicht zuständig. Süffisant riet sie den Autoren, sich an ihre Interessenvertreter zu wenden und das offene Gespräch zu suchen. Wenn sich Belegschaft, Betriebsrat und Gewerkschaften zu „wohlwollender,  vertrauensvoller und konstruktiver Zusammenarbeit entschlössen, sollten alle Probleme lösbar sein“, so Frau Szalai.

Dieses gruppentherapeutische Roundtable müsste freilich unter freiem Himmel errichtet werden, solange die beiden Geschäftsführer der Gewerkschaft TFSZ nicht ins TV-Gebäude eingelassen werden. Ob das dem angeschlagenen Belénessy hilft, ist unwahrscheinlich. Schließlich begannen Nagy-Navarro und Frau Szavuly ihren dreiwöchigen Hungerstreik und den fast sechsmonatigen Protest im Dezember wegen seiner Person: Csaba Belénessy hatte sich damals geweigert, die Verantwortlichen für eine politisch motivierte Retusche in den ungarischen Abendnachrichten zur Rechenschaft zu ziehen. Nachrichtenchef Gábor Élö wurde zwar als Bauernopfer fallen gelassen, landete jedoch im weichen Schoß der regierungsnahen Tageszeitung Magyar Nemzet, wo er jetzt den Posten des Online-Chefredakteurs bekleidet. Sein Nachfolger Péter Gianone musste inzwischen ebenfalls gehen. Seinen Posten übernahm kommissarisch Csaba Belénessy.